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«Es ist jedesmal anders – es gibt keine Garantie, dass man Tiere sieht»

Wenn die Rehe im Wald zu wenig Platz haben, weichen sie aufs Feld aus. Petr Ganaj

Dino Colombo, Jagdaufsicht in Zuchwil, macht sich regelmässig frühmorgens auf in den Wald,
um Tiere zu beobachten und ein­zuschätzen, wie es ihnen geht.
Wir haben ihn an einem Morgen begleitet.

Es dämmert über dem Wald an der Emme – die ideale Tageszeit, um Wildtiere zu beobachten. Den Fuchs oder den Dachs etwa, die von ihren nächtlichen Streifzügen zurück in ihren Bau kommen. Oder die Rehe, die hier, im Emmenholz, immer mal wieder vom Wald aufs Feld und wieder zurück wechseln.

Im Ansitz – oder im Volksmund: Jägersitz – sitzen wir gut versteckt und von den Tieren unbemerkt. Jedenfalls, wenn wir uns möglichst nicht bewegen und keine lauten Geräusche machen. So unterhalten wir uns nur im Flüsterton.

Dino Colombo zeigt auf den nahen Wald­rand, wo die Erde aufgeschüttet scheint und viele grössere und kleine Löcher sichtbar sind. «Da wohnen Füchse und Dachse», flüstert er. Sie wohnen einträchtig nebeneinander im gleichen Bau. Der Dachs hat das weitverzweigte unterirdische System gegraben, der Fuchs ist als Untermieter geduldet. «Aber nur, solange er sich benimmt», erzählt Dino Colombo weiter. «Wenn er eine zu grosse Sauerei macht, fliegt er raus.» Dachse sind nämlich sehr ordentliche Tiere, sie halten ihre Umgebung immer sauber. Der Fuchs hingegen ist das genaue Gegenteil – er lässt gerne alles liegen.

Die vielen Löcher im Dachsbau

Später werden wir den grossen Dachsbau noch aus der Nähe anschauen. Die verschieden grossen Löcher haben verschiedene Funktionen. Die grössten, sauber gegrabenen, sind die Haupteingänge. Etwas kleinere, vor denen schon etwas Gras gewachsen ist, werden als Noteingänge genutzt, also wenn Gefahr droht und die Tiere ganz schnell verschwinden müssen. Noch kleinere, die schon etwas zugewachsen sind, dienen als Lüftungslöcher. Sie sorgen dafür, dass die Luftzufuhr im Bau immer gewährleistet ist.

Und dann finden wir noch ganz kleine Löcher, mit einem Durchmesser von einem Golfball. Das sind die Mäuselöcher, und von denen hat es hier, auf der Wiese und am Waldrand, richtig viele. Das ist wohl mit ein Grund, warum die Dachsfamilie – und mit ihr die Füchse – ihre Wohnung hier eingerichtet hat. Mäuse gehören zu den Leibspeisen beider Tierarten, und hier finden sie einen reich gedeckten Tisch.

Kleine Störung, grosse Auswirkung

Zurück zum Ansitz. Dieser steht strategisch günstig, von hier aus überblickt man sowohl den Dachsbau als auch eine Stelle, an der die Rehe gern in den Wald und wieder heraus wechseln. Heute hat sich allerdings noch nichts getan. Das Wetter ist zwar trocken, aber relativ trüb. «Bei solchen Verhältnissen bleiben Dachse und Füchse manchmal auch tagsüber draussen», weiss Dino Colombo. Als Jagdaufsicht ist er oft im Wald unterwegs und sitzt auch stundenlang auf einem der «Jägersitze». Er kennt die Gewohnheiten der Tiere aus dem Effeff. Aber er weiss auch: «Man hat nie eine Garantie, dass man sie sieht. Sie verhalten sich nie genau gleich, und bei der kleinsten Störung sieht wieder alles anders aus.»

Das wird sich in den nächsten Minuten zeigen. Aus den Augenwinkeln nehmen wir eine Bewegung wahr. Die Rehe, die vorher noch auf dem Feld in der Nähe der ersten Häuser des Blumenfeldquartiers graste, rennen zwei-, dreihundert Meter weiter südlich in den Wald. «Meist wandern sie im Wald nach Norden und kommen dann ganz in unserer Nähe wieder heraus», sagt Dino Colombo. Wir warten gespannt und freuen uns schon auf die Rehe.

Aber es kommt anders. Just in dem Moment spaziert ein Mann mit seinem Hund querfeldein, genau in die Richtung, wo wir die Rehe erwarten. Er wird sie zweifellos vertreiben. «Das ist der Grund, warum Spaziergänger auf den Wegen bleiben sollten», seufzt Dino Colombo. «Solange man auf einem Weg oder einer Strasse geht, stört man die Wildtiere nicht, denn dort haben sie sich an den Menschen gewöhnt. Aber wenn man in ihren Lebensraum eindringt, stresst sie das enorm. Das ist eigentlich so, wie wenn bei uns fremde Leute durch die Wohnung laufen würden.»

Vielen Menschen ist nicht bewusst, wie sehr sie mit ihrem Verhalten die Wildtiere stören. Die Tiere brauchen einen Rückzugsort, wo sie sich sicher fühlen und weder von Menschen noch von Hunden aufgescheucht werden. Ja, die Hunde. Wenn sie frei herumlaufen dürfen, stressen sie die Wildtiere enorm. Jeder Hund hat einen Jagd­instinkt, und wenn er ein Reh wittert, wird er es suchen. «Zum Glück ist das bei uns kein grosses Problem», sagt Dino Colombo. Er hat viele lobende Worte für die Spaziergänger an der Emme in Zuchwil. «Die allermeisten Leute halten ihre Hunde an der Leine. Das freut mich.»

Die Rehe auf dem Feld

Mit den Rehen wars also nichts, sie haben sich offensichtlich einen anderen Weg gesucht. Wer aber wildlebende Rehe beobachten will, ist hier, im oberen Emmenholz, trotzdem am richtigen Ort. Man sieht sie oft auch tagsüber auf dem Feld, ganz in der Nähe der ersten Häuser des Blumenfeldquartiers. Oft sind es acht, zehn oder gar zwölf Tiere, die hier grasen.

Warum ist das so? «Mit der Korrektur des Emmelaufes ging viel Wald verloren», sagt Dino Colombo. «Die Rehe haben schlicht zu wenig Platz.» Zusätzlich verschärft sei die Situation, weil weiter nördlich, im Unteren Emmenholz, ein ganzes Wäldchen abgeholzt wurde. Dort lebten vier oder fünf Rehe, die somit plötzlich heimatlos wurden. Das Obere Emmenholz wäre eigentlich ein idealer Lebensraum für sechs bis acht Rehe. Dino Colombo schätzt aber, dass es im Moment rund 18 Tiere sind. «Verglichen mit den Menschen wäre das so, als würden in einer Zwei-Zimmer-Wohnung 10 Personen leben. Das geht auf Dauer nicht gut.»

Wenn es im Wald zu eng wird, weichen die Tiere halt aufs Feld aus. Es kommt auch öfter vor, dass sich ein Tier ins Quartier verirrt, oder auf die Strasse. Früher sei vielleicht alle vier Jahre ein Reh auf der Strasse nach Luterbach überfahren worden, «heute sind es pro Saison vier bis fünf».

Wie soll man sich verhalten, wenn man im Wohnquartier einem Reh begegnet? «Ruhig bleiben, das Reh in Ruhe lassen und langsam weggehen. Wenn es nicht erschreckt oder verängstigt wird, findet es den Weg aus dem Quartier alleine. Auf keinen Fall darf man versuchen, es in eine Richtung zu treiben.»

Monika Frischknecht
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