«Die Gemeinde Zuchwil ist mir wichtig – nicht die Stadt»

Dass Zuchwil neu als Stadt gilt, erfuhr Gemeindepräsident Patrick Marti über die Medien. Bilder: Monika Frischknecht


Quasi klammheimlich wurde ­Zuchwil vor ein paar Monaten zur Stadt «ernannt». So heimlich, dass nicht einmal der Gemeindepräsident darüber informiert wurde.
Wir haben Patrick Marti gefragt, welche Konsequenzen sich daraus für Zuchwil ergeben.

Seit Anfang Jahr ist Zuchwil offiziell eine Stadt – und dies, obwohl sie «nur» gut 9500 Einwohner*innen hat.

Warum?

Die Kriterien haben sich geändert. Grundsätzlich ist jede Ortschaft eine Gemeinde – je nach dem, ob Bürger- und Einwohnergemeinde zusammengelegt wurden, auch eine Einheitsgemeinde. Früher war das einzige Kriterium, ob eine Gemeinde als Stadt oder Dorf bezeichnet wurde, die Einwohnerzahl. Ab 10‘000 Einwohner*innen war eine Gemeinde eine Stadt.



Heute gibts drei Kriterien, von denen nur eines erfüllt sein muss:

– Einwohnerzahl: mindestens 20‘000

– Anzahl Logiernächte

– Anzahl der Beschäftigten

Die neue Definition gilt bereits seit rund 10  Jahren, ist aber in der Bevölkerung noch weitgehend unbekannt. Aber seither werden jedes Jahr unverhofft Gemeinden zur Stadt erklärt – heuer gehörte auch Zuchwil dazu.



Unverhofft, kann man wohl sagen. Sie haben es über die Medien erfahren.

Tatsächlich, ich wurde nicht im Voraus informiert. Die Kommunikation war seitens BFS (Bundesamt für Statistik) ungenügend. Das kantonale Amt für Gemeinden wusste auch nichts davon.



Von der Einwohnerzahl ist die Hürde also noch höher geworden.
Diese Zahl kann also nicht das ­Kriterium dafür sein, dass Zuchwil neu eine Stadt ist. Wie siehts mit den anderen Kriterien aus? Die Logier­nächte werden ja wohl auch nicht gross zu Buche schlagen.

Doch, das tun sie durchaus. Es mag erstaunen, aber Zuchwil zählt über 30‘000 Logiernächte pro Jahr. Das sind mehr, als etwa die Stadt Grenchen verzeichnen kann.

Allein das Sportzentrum Zuchwil, also das Sporthotel und die Annexbauten, verbucht rund 10‘000 Übernachtungen pro Jahr. Dann haben wir das HoStel am Drosselweg im Unterfeld (ehemals Kontiki) und das K-Business Apartments & Hotel (ehemals ZuchwilerHof). Dazu kommen die Gäste des Hotels Martinshof. Dieses Hotel liegt ausserordentlich günstig und ist immer gut ausgelastet. Zudem gibts in Zuchwil etliche Bed-and-Breakfast-Angebote.



Auch das dritte Kriterium – die Zahl der Beschäftigten – dürfte erfüllt sein.

Ja, auf jeden Fall. Zuchwil zählt rund 5000  Arbeitsplätze und gegen 6000  Beschäftigte.

Wie viele Städte zählt die Schweiz
nun nach den neuen Kriterien?

Momentan rund sind es 170. Es gibt übrigens auch deutlich kleinere Städte als Zuchwil. Die kleinste Stadt der Schweiz ist momentan Zermatt, mit 4900 Einwohner*innen.



Nun sind Sie also Stadtpräsident.
Ändert sich, ausser der Bezeichnung, für Zuchwil etwas?

Nein, im Moment nicht. Die Definition der Stadt ist rein statistisch und hat keinerlei rechtliche Bedeutung. Mir selber ist es auch herzlich egal, ob ich mich Stadtpräsident nennen darf oder nicht. Für mich steht Zuchwil im Vordergrund. Zuchwil verbindet – wie es unser neues Logo propagiert.

Auch der Finanz- und Lastenausgleich ist durch den Statusänderung nicht anwendbar. Die Städte Solothurn, Olten und Grenchen erhalten für ihre Zentrumslasten eine finanzielle Unterstützung. Zuchwil nicht. Zuchwil hat aber meiner Meinung nach durchaus eine Zentrumsfunktion inne. Wenn ich denke, wie viele Zentrumslasten Zuchwil trägt, wäre es logisch, einen Ausgleich zu beantragen.



An welche Zentrumslasten denken Sie?

Wir haben zwar kein Museum oder Stadttheater wie etwa Solothurn. Ich will die Bedeutung der kulturellen Institutionen nicht schmälern, aber wenn Museen und Theater eine Zeitlang geschlossen bleiben würden, hätte dies keine Auswirkung auf den Alltag der meisten Menschen.

Aber wir haben eine grosse Kehrichtverbrennungsanlage und eine regionale Kläranlage. Die Kebag – oder neu Kenova – steht auf Zuchler Boden, ebenso die Zase. Stellen Sie sich vor, was geschieht, wenn diese einmal für längere Zeit ausfallen – wenn kein Kehricht mehr verbrannt
werden kann oder das Abwasser nicht mehr gereinigt wird. Die Folgen wären ­katastrophal. Rund 500‘000 Menschen wären von einem Ausfall der Kenova betroffen.

Ein anderes Beispiel ist das Schützenhaus, in dem Organisationen aus der ganzen Region schiessen. Das will auch lieber niemand in seiner Gemeinde haben. Oder die BSU-Garage, die gerade eine Erweiterung plant.

Die Kehrichtverbrennungsanlage und die Kläranlage stehen im schönsten Naherholungsgebiet von Zuchwil, am Emmenspitz. Mit der Erweiterung der BSU-Garage geht wertvolles Kulturland verloren. Ist es selbstverständlich, dass Zuchwil dies hergibt? Ich finde nicht.

Auch das Hybridwerk Aarmatt – das Zentrum des ganzen Fernwärmenetzes der Region – steht auf Zuchler Boden.

Und nicht zuletzt haben wir das Sportzentrum (SZZ), eines der drei grössten Multifunktionszentren der Schweiz. Wie ich gehört habe, finden 80 Prozent der Jugend & Sport-Kurse des Kantons Solothurn im SZZ statt. Das Zentrum kostet uns jährlich Millionen. Wir erhalten einzig bei Neubauten einen Zustupf vom Lotteriefonds. und einen jährlichen Beitrag der Replagemeinden von rund 185‘0000 Fr (ein Teil davon wird den Einwohnenden der Replagemeinden via vergünstigten Eintritten wieder zurückerstattet). Den Rest der Kosten trägt die Gemeinde alleine. Sie machen immerhin acht Steuerprozente (rund 2 Millionen Franken) aus!

Sie sehen, wir tragen für das Funktionieren des Alltags bedeutendere Lasten als die umliegenden Städte. Diese sind sicher Grund genug, beim Lastenausgleich berücksichtigt zu werden.



Auch im Vorstand des Verbands ­Solothurner Einwohnergemeinden (VSEG) ist Zuchwil nicht vertreten.

Genau. Die Städte haben eigentlich in diesem Vorstand einen fixen Platz. Zuchwil ist bis jetzt nicht dabei.

Ich werde all diese Fragen im Gemeinderat ansprechen – wollen wir aktiv werden oder nicht? Selbstverständlich entscheide ich dies nicht allein.



Auch wenn die Einwohnerzahl inzwischen nicht mehr so wichtig ist – ­wagen Sie eine Prognose, wann Zuchwil die 10‘000er Grenze durch­brechen wird?

Per Ende Juni hatten wir 9606 Einwohner*innen. Wir sind also nah dran. Wenn ich die momentane Wohnbautätigkeit anschaue, vermute ich, dass dies etwa im Jahr 2027 oder 2028 der Fall sein wird.

Interview: Monika Frischknecht

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